Wollspinnerei Vetsch

Der Bündner Familienbetrieb mit über 130 Jahren Erfahrung in der Wollverarbeitung

Von der Rohwolle bis zum fertigen Garnknäuel: Die Wollspinnerei Vetsch im bündnerischen Pragg-Jenaz verarbeitet im traditionellen Stil bis zu 15 Tonnen Wolle pro Jahr. Der über 130-jährige Familienbetrieb wird heute von Christoph Vetsch und seiner Frau Jeannine in der vierten Generation geführt. Sie beschäftigten insgesamt acht Angestellte – alle aus dem Dorf selbst.

Das Projekt in Kürze

  • Verarbeitung von Wolle
  • Acht Angestellte, davon drei vollzeit
  • Pragg-Jenaz/GR

An der Bahnhofstrasse in Pragg-Jenaz, mitten in einem idyllischen Wohnquartier, dampft es bei einem charmanten, traditionellen Haus aus zwei Rohren. «Das ist kein Rauch, sondern der Wasserdampf aus dem Dampfkessel der Färberei», erklärt Christoph Vetsch, Inhaber und Geschäftsführer der Wollspinnerei Vetsch. Bereits in der vierten Generation führt der in Frauenfeld geborene und in Pragg-Jenaz aufgewachsene Prättigauer den Familienbetrieb. Ob Schaf-, Alpaka- oder Lamawolle: Vom 50 Gramm Knäuel bis zur 300 Kilogramm schweren Teppichwolle verarbeitet die Wollspinnerei im traditionellen Verfahren alles vor Ort. «Natürlich hat die Digitalisierung bei einzelnen Arbeitsschritten auch bei uns Einzug gehalten. Aber im Grunde verarbeiten wir die Wolle auch heute noch so wie vor 130 Jahren», sagt Christoph. Nach der Anlieferung wird die Rohwolle zuerst gewaschen und getrocknet. Entweder im Trockner oder – wenn das Wetter mitmacht – ausgelegt auf dem Vordach der Spinnerei. Anschliessend wird sie nach dem Färben auf der Kard- oder Spinnmaschine individuell weiterverarbeitet, bis sie entweder zurück an den Kunden geht oder im eigenen Fabrikladen in verschiedenen Variationen verkauft wird.

Jede Wolle zählt

Die Wolle geniesst hierzulande nicht den besten Ruf. Oft wird sie als «Abfallprodukt» bezeichnet und entweder als Dämmmaterial verwendet oder gar verbrannt. «Die Wolle hat herausragende Eigenschaften. Sie wegzuwerfen wäre sehr schade», sagt Christoph. Damit das möglichst selten passiert, arbeitet die Wollspinnerei eng mit den regionalen Landwirten zusammen. So lässt zum Beispiel die Familie Jegen im bünderischen Serneus ihre Lamawolle von der Wollspinnerei Vetsch aufbereiten. Für Patricia Jegen vom Arvenhof ist das ein grosses Glück: «Seit bald 20 Jahren bringen wir unsere Lamawolle der Wollspinnerei zur Aufbereitung und verarbeiten sie anschliessend bei uns auf dem Hof zu Duvets oder anderen Produkten. Hätten wir diese Möglichkeit nicht, wüssten wir nicht wohin mit der Wolle». Dank der Wollspinnerei können lokale Landwirtschaftsbetriebe zusätzliche Produkte herstellen und ihre Wertschöpfungskette erweitern, ist sich Daniel Buschauer, Leiter Amt für Landwirtschaft des Kantons Graubünden, sicher: «Graubünden ist im Sommer der Kanton mit den meisten Schafen. Dank der nahe gelegenen Wollspinnerei Vetsch besteht für viele Landwirte die Möglichkeit, dass sie die Schafwolle weiterverarbeiten und so nebst der Milch, dem Fleisch und Käse zusätzliche Produkte anbieten können».

  • «Es ist beeindruckend zu erleben, wie die Wollspinnerei Vetsch mit dem traditionellen Wollverarbeitungs-Handwerk seit vier Generationen wirtschaftlich erfolgreich ist. Für das Dorf ist sie eine unentbehrliche Arbeitgeberin.»

    Jury-Mitglied Gabriela Manser

Ein einzigartiger Betrieb für die Schweiz

Die Wollspinnerei Vetsch mit ihrem kompletten Wollverarbeitungsprozess ist einmalig in der Schweiz. Um auch weiterhin bestehen zu können, beobachtet Christoph den Markt genau und investiert regelmässig in die Infrastruktur. Seit kurzem steht eine neue Maschine in der Werkhalle, mit der auch kleine Mengen an Wolle zu individuellen Produkten verarbeitet werden können. «Die Kleinspinnanlage eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten. Wir können damit auch die Bedürfnisse von kleineren Landwirtschaftsbetrieben mit wenigen Tieren berücksichtigen, damit diese auf ihren Höfen eigene Wollprodukte anbieten können», sagt Christoph. Zukünftig möchte der Betrieb auf das in den letzten Jahren enorm gestiegene Potenzial der Schweizer Wolle setzen und mit den noch verbleibenden Wollverarbeitungsbetrieben in der Schweiz enger zusammenarbeiten. «Alles können wir bei uns nicht machen. Bei der Verarbeitung von Baumwolle und Seide greifen wir zum Beispiel auf das Wissen und die Maschinen von zwei Partnerbetrieben zurück», sagt Christoph. Für den Erhalt des traditionellen Handwerks sind solche Partnerschaften wichtig, damit es an der Bahnhofstrasse in Pragg-Jenaz auch in Zukunft aus den Rohren dampft.

Text: Lukas Ziegler
Bilder: Alexandra Rozkosny
Video: Daniel Farrèr

Erschienen im Juli 2023